Archives of Service Civil International – Die Entwicklungen des SCI bis 1933

Die Entwicklungen des SCI bis 1933

Otto Weis im Dienst Safien (1932)

  • Internationale Zivildienstvereinigung – La Chaux-de-Fonds
  • Internationaler Freiwilliger Hilfdienst -Guben
  • Internationale Hilfdienstsvereinigung – Deutscher Zweig

Der erste Dienst des Service Civil International (SCI) fand im November 1920 auf den Trümmern des Schlachtfeldes von Verdun statt, wo Freiwillige aus Frankreich, Grossbritannien, der Schweiz und aus Deutschland beim Wiederaufbau des im Ersten Weltkrieg zerstörten Dorfes Esnes halfen. In den 20er und 30er Jahren folgten weitere Dienste des SCI in der Schweiz, in Liechtenstein, Frankreich und in Grossbritannien. Was aber war in Deutschland ?

Im Internationalen SCI-Archiv in La Chaux-de-Fonds fand sich eine kleine, von Otto Weis aus Müllheim in Baden verfasste Druckschrift : “Kurzer Umriss der Geschichte des Internationalen freiwilligen Hilfsdienstes” (siehe unter 33 00 00 – 1), in der über die ersten Dienste im Ausland und eine im Beisein von Pierre Ceresole erfolgte Gründung eines “deutschen Zweiges der Hilfsdienst-vereinigung” am 16. November 1932 in Berlin berichtet wird. Weiterhin befand sich im Archiv der Bericht einer deutschen Zeitschrift über einen SCI-Dienst in der Schweiz. Dies gab den Anstoss, nach weiteren Ausgaben dieser Zeitschrift zu suchen : dem Organ “Die Friedensfront”. des deutschen Zweiges der “Internationale der Kriegsdienstgegner”. Dabei zeigte sich, dass die Nationalsozialisten bei der Vernichtung unerwünschter Literatur offensichtlich sehr erfolgreich waren, jedenfalls befinden sich in den einschlägigen Archiven nur einzelne Nummern der “Friedensfront” und anderer, verwandter Zeitschriften. Das, was bei der bisherigen Suche gefunden wurde, ist in dieser Materialsammlung enthalten.

Der SCI hatte in seiner Anfangszeit keine feste Organisationsform. Es gab zwar ein internationales Komitee, dessen Mitglieder waren jedoch nicht im heutigen Sinne demokratisch gewählt, sondern vom Gründer des SCI, Pierre Ceresole, persönlich “berufen”. Auch die Dienste wurden vorwiegend von Pierre Ceresole organisiert und neben dem Begriff “Zivildienst” war dabei meist von “Freiwilligen Internationalen Hilfsdiensten” die Rede. So muss bei den in dieser Materialsammlung angeführten drei Diensten in Deutschland offen bleiben, ob man diese bereits als Vorläufer von deutschen Diensten bezeichnen kann. Zumindest gab es irgend welche heute nicht mehr nachvollziehbare Verbindungen zwischen dem Organisator dieser Dienste, Erich Mohr, und dem SCI. Jedenfalls übernahm Erich Mohr nach der offiziellen Gründung des deutschen Zweiges dessen Sekretariat.

In der bisher aufgefundenen Literatur tauchen wiederholt drei Namen auf :

  • Otto Weis aus Müllheim, der ab 1928 an den Diensten des SCI teilnahm, von Pierre Ceresole in das (internationale) Komitee berufen wurde und in Vorträgen in Friedenskreisen für die Teilnahme an Internationalen Hilfsdiensten warb.
  • Nikolaus Ehlen aus Velbert, der sich nach der Teilnahme am SCI-Dienst in Lagarde 1930 in dem von ihm herausgegebenen Blatt der katholischen Jugend “Lotsenrufe” für eine Beteiligung katholischer Kreise am SCI einsetzte, sich später als Initiator der Siedlungsbewegung einen Namen machte dem 1951 die Ehrenmitgliedschaft des deutschen Zweiges angetragen wurde.
  • Erich Mohr aus Guben, der mit seinem “Freideutschen Werkbund” drei Internationale Hilfsdienste 1928 auf dem Rhön-Bruderhof, 1931 in Eden-Oranienburg und 1932 in Niemitzsch bei Guben organisierte, 1932 das Sekretariat des deutschen Zweiges übernahm und sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin wieder für den SCI engagierte.

Zwischen diesen Dreien gab es Verbindungen. So wird bereits im April 1930 in der Gubener Zeitung von einem Vortrag von Otto Weis über den SCI in Guben berichtet. Andererseits wird in den bisher aufgefundenen Berichten von Otto Weis jedoch nie einer jener “Freiwilligen Internationalen Hilfsdienste” erwähnt, die von Erich Mohr organisiert wurden. Dies mag allerdings auch daran liegen, dass Erich Mohr diese selbständig also ohne eine Beteiligung des in der Schweiz bestehenden Komitees von Pierre Ceresole organisierte. Die Freiwilligen, wie zum Beispiel der englische Quäker Corder Catchpool, kamen jedoch aus dem selben Kreis der “Friedensbewegung”.

Der SCI gehört seinem Ursprung nach zur grossen Gruppe der “Lebensreformer”, deren Wurzeln bereits im 19. Jahrhundert liegen. Nach dem Ersten Weltkrieg wuchsen diese zu “Bewegungen” heran, unter denen es vielfache Verzahnungen und intensive Kontakte gab. Erwähnt seien hier nur einige Gruppen, zu denen der SCI enge Kontakte hatte : religiöse Gruppen, wie die Quäker, selbstreformerische, wie die Vegetarier, genossenschaftliche, wie die Siedlungsbewegung, und natürlich alle Zusammenschlüsse, die sich für den Frieden und eine Abschaffung des Militärdienstes einsetzten. Die von Erich Mohr organisierten drei Dienste in Deutschland fanden jeweils zu Gunsten einer solchen, der Reformbewegung angehörenden Gruppe statt :

Der 1920 von Eberhard Arnold ins Leben gerufene Rhön-Bruderhof strebte im Sinne der Bergpredigt und Jacob Hutters eine christliche Urgemeinde an. Sie bekannten sich zur Gütergemeinschaft und weigerten sich, Militärdienst zu leisten oder sonstwie Gewalt anzuwenden, zu schwören oder öffentliche Aemter zu bekleiden. Heute leben weltweit Menschen in mehr als 250 Bruderhöfen nach diesen Grundsätzen.

Die “Gemeinnützige Obstbau-Siedelung Eden eGmbH’ in Oranienburg war und ist als lebensreformerische vegetarische Mustersiedlung ein typisches Produkt der Gründerzeit. Als Siedlungsgenossenschaft der bürgerlichen Welt entwickelte sie einen eigenständigen, dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Sie überstand sowohl das Dritte Reich wie auch die DDR und besteht noch heute. Ueber die Vegetariersiedlung Niemitzsch, die östlich der Neiße und damit heute in Polen liegt, konnten bisher leider weder im Stadtarchiv von Guben noch anderswo Unterlagen gefunden werden.

Die Spuren der ersten “Gründung eines deutschen Zweiges der Internationalen Hilfsdienstvereini-gung” am 16. November 1932 verlieren sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1933 und dem Verbot aller nicht linientreuen Zeitschriften. Berichte von Zeitzeugen sind leider nicht überliefert. Diese Zusammenstellung entspricht dem Stand unserer Kenntnisse im Oktober 2003. Für Hinweise, Ergänzungs- und Korrekturvorschläge sind wir dankbar.

Bertram Schröter